Mittwoch, 10. April 2013

Pfannenstiel, die Geschichte eines Bildhauers

Der Zürcher Schriftsteller Albin Zollinger hat zwischen 1895 und 1941 gelebt. Im Jahr 1940, also kurz vor dem Tod, ist sein Pfannenstiel-Roman (Pfannenstiel / Die Geschichte eines Bildhauers) veröffentlicht worden:
Bildquelle: Google-Suchfunktion für Bilder










Im folgenden Blog-Beitrag sind ein paar kurze Ausschnitte aus diesem Roman, vor allem Landschaftsbeschreibungen, zu lesen.  Das Buch selbst ist längst vergriffen und nur noch im Antiquariat erhältlich. Im Web kann es in der Kindle-Edition als eBook heruntergeladen und im Projekt Gutenberg DE kapitelweise gelesen werden.

Anfang des Romans / Seite 7 (Kindle-Edition): Zwei Freunde, Bildhauer, reisten zusammen von Paris nach der Schweiz zurück.
Sie waren nicht mehr jung; einige vierzig; dem Dunklen, zur Behäbigkeit neigenden, lichtete sich das Haar von seinem Wirbel aus, der andere, der ein Hüne war, trug noch die Mähne eines Jünglings. Beide blickten sehr jugendlich aus den Augen, nach deren Bläue beurteilt sie hätten Brüder sein können; die von Stapfer schienen verträumter, Krannig hatte den Schalk im Gesicht.

Seite 29: Das Bähnchen, mit dem sie fuhren, war ein Mittelding zwischen Tram und Bummelzug; es brachte Milchkannen vom Lande herein und städtische Menschen hinaus, nicht viele zu der Zeit, und sie verloren sich unterwegs, (....)

Forchbahn, Motorwagen CFe 2/2 Nr. 4
Dieser Motorwagen stammt aus einer Serie von 5 Stück, welche speziell für die Forchbahn von der Schweizerischen Wagonfabrik Schlieren und der Maschinenfabrik Oerlikon (elektrischer Teil) gebaut wurden. Mit diesen fünf Motorwagen nahm die Forchbahn am 29. November 1912 ihren Betrieb auf.
 Bild- und Textquelle: www.vhf-egg.ch





Seite 29: Es war kein Berg, es war unter den Himmel erhobenes Hügelland mit einer Asphaltstrasse mitten durch, mit Bauerndörfchen, kleinen Schindelkirchen, mit Schulhäusern und Wegweisern; in den Obstbäumen lehnten noch Leitern, die Lattenzäune bauchten sich aus unter Lasten von Herbstblumen, verbliebene Sonnenblumen ragten wie alte Jungfern.

Blick auf den Pfannenstiel 
aus der Gegend von Gossau (ZH)
(Aufnahme: 10.06.11)

Blick auf den Pfannenstiel 
aus der Gegend von Bertschikon / Gossau (ZH)
in der Bildmitte das Dorf Egg
(Aufnahme: 17.06.11)




Seite 30: Du siehst da zwischen den beiden Seen Uster, wo vor genau hundert Jahren die erste Fabrik des Kantons verbrannte, ein Novum und Symbol des Weltunterganges, gegen das sich eines nebligen Novembertags der Grimm der Handweber wandte. Sie irrten. Die Industrie hat ihren Kindern alle die Dörfer erbaut, von denen du das Land gesprenkelt siehst. Noch unsere Grossmütter hatten alle ihr Seidenwindrad im Hause, ich höre das hölzerne Surren aus der Kindheit herüber; es überzog den Buben mit grauer Langeweile, die Frauen hatten vom Fingernetzen ausnahmslos Hängelippen, ich hasste sie dafür; sie trugen auch schwarze Haarnetze, die unter den Stündelern bis auf den Tag geblieben sind, und das Oberland wimmelt von religiösen Schwärmern.

Blick auf den Greifensee mit Uster
(Aufnahme: 17.06.11)



Seite 32: «Da überall hinaus», sagte Martin, «sind die farbigen Landsknechtsheere gezogen: nach der Lombardei, nach Burgund – Ströme von Wanderameisen, die einen Weinberg von Lanzen über die Pässe trugen. Die Burg links ist Rapperswil, ein Städtchen, welches zwei Heckenrosen in seinem Wappen hat, die Insel davor ist die Ufenau, ein lockiger Schopf von Buchen im Wasser, Hutten liegt dort begraben, die Unrast des Deutschland von Luther; rechts hinauf gingen die Pilgerzüge nach der Waldstatt Einsiedeln, die heute in ihrem Hochtal, in Negerkraalen aus Torfhütten, mit der Unverhältnismässigkeit ihrer Klosterkirche dem Leben der Königszeit nachträumt. Du siehst auch in dem Schilfland am Obersee einen dörflichen Dom gespiegelt; das ist Lachen in der Nähe von Tuggen, wo der irische Mönch Columban die Christianisierung Germaniens begann. Die Bewegung setzte sich nach dem Bodensee fort, der im Osten hier beinahe sichtbar wird; in der Richtung liegt St. Gallen, die Zelle des heiligen Gallus – und aber die Lücke da im Gebirge, die musst du dir ansehen; da liegt drin der Walensee oder Welschensee mit Dörfern des Namens Terzen, Quinten, Quarten: der römische Süden weht da über Pfirsichbäume ins deutsche Haus herein, durch diese Pforte ergoss er seine Legionen; wir sind Brackwasser aus Blond und Dunkel bis auf den Tag geblieben, das Mediterrane wiegt aber vor, in einer Kreuzung des Bäuerlich-Kriegerischen, in welchem die keltische Hirtin ebenso wie der lateinische Eroberer fortlebt.

Blick von Feldbach auf Rapperswil
(Aufnahme: 07.06.11)


Seite 35: Sie verliessen die Tische und Stühle des scheinbar menschenleeren Hauses, die Wiese davor empfing sie mit wohligen Teppichen, sie traten noch auf den eigentlichen Aussichtspunkt, die Okenshöhe hinaus, eine Lichtung von Eichgebüsch, in welchem der Tisch eines Alpenzeigers mit gewaltigen und blumigen Namen der Bergriesen – Ruchenglärnisch, Grosse Windgälle, Finsteraarhorn – als Visierplatte vor dem Panorama stand.

Okenshöhe, links der Alpenzeiger, rechts das Pyramidensignal des Triangulationspunktes der Landesvermessung
(Aufnahme: 08.04.13)
Der aufgefrischte Alpenzeiger bei der Okenshöhe
(Aufnahme: 20.03.13) 

Blick aus der Gegend von Esslingen auf den Glärnisch
(Aufnahme: 07.06.11)

Seite 35: Sie betrachteten auch den Findling aus rotem Ackerstein, welchen die Gletscher der Eiszeit vom Tödi heruntergetragen und an dem erhobenen Orte niedergelegt hatten; er war vom ausgestorbenen Geschlechte der Giganten wie ein Wurfgeschoss geblieben, für dessen Mass es die Kräfte nicht mehr gab.

Der Okenstein
(Aufnahme: 08.04.13) 

Martin entwarf das Bild jener Urlandschaft, deren Trümmer, idyllisch überwuchert, in Moränen und Tälern verblieben waren. Sie wanderten auf einer Strasse von sanftem Gefälle an der Flanke des Berges, durch Riedland und Wiesen und bäuerliche Weiler. Die Beerenstauden waren schwärzlich eingedorrt; Martin pflückte eine Garbe herrenloser Mondviolen, dazu raschelnde rote Laternen der Judenkirsche; die leise Frau trug das Brautbukett in ihrem Arm durch die Dämmerung, durch den Wohllaut der Glocken aus der Tiefe, die mit Lichtern zu blinken anfing, noch ehe die Sonne völlig hinter den schwarzblauen Grat des Albis hinabgegangen war.
Schattenhaft standen Rinder, die Kühe schnauften durch Lattenzäune, gewalttätig leckend, als lebte die Nacht in ihnen.

Blick auf den Albis aus der Gegend bei Küsnacht / Erlenbach
(Aufnahme: 05.06.11) 


Blick vom Aussichtsturm auf der Pfannenstiel-Hochwacht  
auf den Albis mit dem Felsenegg-Turm 
(Aufnahme: 27.11.10) 



Schluss des Romans / Seite 139: Der Schweizer Grenzschutz rückte am Dienstag ein, lediglich vorsichtshalber. In der Morgenfrühe des ersten September schlugen die Deutschen gegen Polen los. Das war ein Freitag, um dessen Mittagsstunde Bern die Generalmobilmachung ausrief. Sogleich begann das Heer zu strömen, von den Bergen herab, im Austausch der Landesteile; Stapfer schwang auch seinen Sack auf den Rücken – «Der arme Byland mit seinem Schätzchen!» klagte Elena. «O, der Schlaumeier ging nicht ohne sich noch schnell zu verloben!» Er hatte das Büblein und seine späte Frau an der Brust, er küsste beide im klaren Bewusstsein, dass es möglicherweise das letzte Mal war; aber alle blieben sie ruhig, Baumgartners gaben die Söhne ruhig von ihrer Hand; die Männer, die auf Wiesenpfaden von ihren Höfen kamen, fühlten sich leicht geniert nur im Ungewohnten der Uniform, und eine leise Kümmernis galt ihrem Gewehr in der Regendrohung der Lüfte mehr als der Wetterwand, deren Sinnbildlichkeit für ihr Gefühl schon beinah einwenig nach Pomp aussah.

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